Die Altertümer des egyptischen Museums.
Erst seit der Mitte der neunziger Iahre haben methodische
Ausgrabungen
uns die Ueberreste einer Kulturperiode in
Egypten gebracht, die wir mit Sicherheit
vor die groszen
Pyramidenerbauer, ja teilweise vor das durch Menes geeinigte
Reich setzen dürfen. Am bezeichnendsten erscheinen die ohne Töpferscheibe
gearbeiteten
Vasen, von denen die eine Gattung über
und über mit einer roten, unter besonderen
Verhältnissen
schwarz gewordenen, glänzend polierten Farbe überzogen ist,
während die andere auf thonfarbenem Grund rote Zeichnungen aufweist.
Auf
einem Prachtstück (2083) dieser Gattung sind Boote
mit vielen Ruderpaaren dargestellt,
die auf dem
Nil fahren, während am Ufer allerhand
Tiere, darunter langbeinige
Wasservögel, erscheinen. Die
Gestalt der niedrigen Boote mit hohen Kajüten
erinnert an
die noch heute üblichen Nilboote. Ein etwas abweichendes Boot, das
auch das grosze Steuerruder zeigt, ist auf der Schale
[rote Nr. 2076]
*) in weiss auf
rotpoliertem
Grunde abgebildet.
Zur selben Topfgattung gehören die merkwürdigen vogelgestaltigen
Gefäsze
und das Nilpferdgefäsz (r. N. 2147): das Tier
ist von mehreren Harpunen getroffen.
Es stammt wohl wie
die meisten egyptischen Fundgegenstände aus einem Grab,
dessen Eigentümer auf diese Weise auch im Ienseits der Nilpferdjagd obliegen
zu
können hoffte.
Aus dem gleichen Grunde hat man im Grab des Menes, das de
Morgan
zu Negade in Oberegypten entdeckt hat, dem
toten König eine Meute in Elfenbein
*) Die roten Nummern beziehen sich auf
den im Erscheinen begriffenen Catalogue général.

mitgegeben, die
den elfenbeinernen Löwen jagen sollte—ein anderer Löwe
aus
Bergkrystall hat sich im selben Grabe gefunden. Auch die Elfenbeinfische,
die
sämtlich aufgehängt werden können, hingen wohl
einst am Angelhaken.
Die Gefäsze des Menesgrabes weisen mit geringen Ausnahmen
keinerlei Farbschmuck
mehr auf. Dagegen sind kostbare
Steingefäsze, die leider wie der ganze
Inhalt des Grabes
durch Brand stark gelitten haben, zahlreich vorhanden. Ferner
schöne Steinwaffen, die beweisen, dasz wir noch am
Ausgang der Steinzeit stehen: die
Metalle: Kupfer (eine
Perle r. N. 14137, aus den Königsgräbern zu
Abydos Waffen
und das Waschgerät r. N. 3437),
Gold (langes, leichtgebogenes Kettenglied), aus
anderen
Gräbern auch das Silber, sind bekannt, haben aber weder für den Gebrauch
als Werkzeuge und Waffen, noch als Schmuck (vergl. die
Armbänder aus Muschelschalen
und Feuerstein im Menesgrabe
und von sonstigen Fundstellen, die der
archaischen Periode
angehören) den Stein ganz verdrängt.
Die Schrift ist bereits unter Menes im Gebrauch: ein kleines
Elfenbeintäfelchen
aus dem Grab bietet den Doppelnamen
des ersten egyptischen Herrschers: der Horus
Ehe, der Herr
der beiden Diademe Menes'. Durch andere, gleichartige Tafeln aus
Gräbern der Könige der I. Dynastie, die Petrie in
Abydos aufgedeckt hat, ist die
Deutung gesichert.
Aus diesen Gräbern stammen eine Anzahl auch künstlerisch
wertvoller Holzund
Elfenbeinschnitzereien, so die Tafel
mit dem Asiaten, das Bruchstück, das den
König “Den”
(Udn-i?) Usaphais mit der Doppelkrone zeigt und die prachtvoll
ornamentierten
Steingefäsze.

Altegyptisches Ohrgehänge.

Altegyptischer Fingerring.
Ueberraschend war die Auffindung einiger
Armbänder aus Gold und Halbedelsteinen in einem
der Gräber
zu
Abydos, aber der glanzvollste
Fund
aus der egyptischen Urzeit war doch der von
Hierakonpolis.
Hier
fand Quibell, jetzt Generalinspektor
der Altertümer in
Egypten, die herrliche Schmuckpalette
des Königs Nar-mer
(?). Auf der Vorderseite
erschlägt der König, dessen Haupt
die oberegyptische
Krone schmückt, mit der Keule 6000
Asiaten.
Die feierliche Haltung des Königs, der die
Sandalen
tragende priesterliche Diener hinter dem
Herrscher beweisen,
dasz hier eine symbolische Handlung
vorliegt. Es ist das Fest “des Schlagens
der Beduinen”,
dessen Verlauf wir auf der Rückseite kennen lernen. Hier schreitet
der König in feierlicher Prozession, von Priestern
begleitet, auf die enthaupteten
Feinde zu. Weiter unten
bändigen zwei Asiaten zwei Fabellöwen, deren lange
Hälse
eine Schale umschlieszen. Im untersten Feld hat der starke Stier—das
Symbol der egyptischen Könige—einen Asiaten zu Boden
geworfen und seine
ummauerte Niederlassung zerstört.
Die künstlerische Ausführung dieser “Paletten” ist von
hervorragender Kraft:
die bekrönenden Hathorköpfe zeigen
alle Charakteristika der besten Masken der
Kuh-Göttin. Die
strenge Gemessenheit der Darstellung wird durch das Material—dunkelgrüner
Schiefer—noch besonders hervorgehoben.
Neben diesem Prachtstück—und einer ähnlichen, jetzt in Oxford
befindlichen
Tafel, deren Abgusz unser Museum
bewahrt—treten die interessanten Elfenbeinschnitzereien,
die zu den ältesten egyptischen plastischen Versuchen gehören, fast
zurück.
Und ebenso die heiligen Tierfiguren aus
egyptischem Porzellan (Fayence), die
uns die Fabrikation
dieser Masse schon für die älteste Zeit bezeugen.
Die Deutung der Tafeln von
Hierakonpolis auf Schmuckpaletten beruht auf
dem Vergleich dieser Prunkstücke mit den in fast allen archaischen Gräbern
gefundenen

Prinz Rahotep und Prinzessin Nofret aus Medum.
Kalkstein. Kairo.
tierförmigen Tafeln aus grünem Schiefer, auf denen sich deutliche
Spuren
von zerriebener Farbe finden, und die neben der
einen Hand der Toten gefunden
sind, zugleich mit
Reibkieseln. Wir wissen von den bemalten ältesten Statuen her
(und in späterer Zeit durch sog. Puppen, die in Gräbern
beigegeben sind, auch
durch die Leiche der Priesterin
Amenit aus dem mittleren Reich), dasz die Egypter
es
liebten, sich die Augen, aber auch andere Körperteile mit Farbe zu
schmücken
bezw. zu tätowieren.
Von der Plastik jener fernen Epochen geben uns auszer den schon
erwähnten
Statuetten aus
Hierakonpolis, die von Petrie in Koptos gefundene
Statue des Naturgottes
Min eine Anschauung (mit
interessanten Reliefs auf dem die Beine eng umhüllenden
Gewand), sodann das Hockbild eines Mannes aus
Hierakonpolis (der den
eigentümlichen Schurz trägt, der später Fischer und halbwilde Sumpfbewohner
auszeichnet),
endlich, als das fortgeschrittenste
Exemplar von allen, die hockende Granitstatue
eines
Priesters dreier Könige der ersten Dynastien, deren Namen auf seinem
Rücken stehen. Sie zeigt in der kurzen, in konzentrischen
Kreisen angeordneten
Loctenfrisur, im Gegensatz zu den
langen Haaren des Mannes aus
Hierakonpolis und
den Haartrachten der ebenda
gefundenen Statuetten, bereits die Mode des alten Reichs.
Nicht so sehr lange nach dieser Statue sind die beiden
vielgepriesenen Sitzbilder
des Prinzen Rahotep und seiner
Gemahlin Nofret (die Schöne) gearbeitet, in denen

Der “Dorfschulze”. Holz. Kairo.
die Grundeigenschaften der egyptischen
Kunst,
scharfe Heraushebung der für den
Typus wesentlichen Züge
und Vernachlässigung
alles Nebensächlichen (wozu der
Egypter Hände und Füsze rechnet) so klar
sich aussprechen. So farbenschillernd wie
dieses Paar
müssen wir uns alle egyptischen
Statuen denken. So
namentlich
auch den Scheich el-Beled (Dorfschulze),
einen Beamten der
V.
Dynastie und “seine
Frau”, von der nur der Oberteil
erhalten
ist. Beide Holzstatuen waren mit einer
dünnen, bemalten Stuckschicht überzogen.
Die Technik mag man sich an einem
rohen Sitzbild des
alten Reichs unserer
Sammlung vergegenwärtigen.
Unter den Typen, denen wir immer
wieder
begegnen, verdienen die ruhig Dasitzenden,
die den Gebeten
der Opfernden
lauschen, die Schreiber mit dem Griffel
in
der Hand, die Papyrusrolle auf den Knieen,
und die Lesenden, die leichtgesenkten Hauptes
ein Buch in den Händen halten, hervorgehoben
zu werden. Diese Typen sind im
alten
Reich geschaffen und dann beibehalten
worden: wer die
Entwictlung der Plastit studieren will, vergleiche den schönen
Schreibenden aus Sakkara (V. Dynastie, r. Nr. 36), einen
der Schreibenden aus der
VI. Dynastie mit vergleichsweise
groben Formen, die Lesenden aus dem altem Reich
(r. Nr. 57
und 56) mit den Statuen des neuen Reichs, die den gleichen Gegenstand
darstellen. Bei dem Lesenden r. Nr. 592 fallen die
schweren Fettfalten auf der Brust
auf: es ist das die Art,
wie seit dem Anfang des mittleren Reichs (VI. Dynastie)
der Egypter alte, wenig sich bewegende Leute charakterisiert.

Königsstatuen des alten Reichs haben wir nur wenige: die Gräber
in
Abydos
enthielten nur groszartig angelegte Stelen mit dem Horusnamen des Königs,
die
ersten sicheren Bruchstücke von Königsstatuen der
IV. Dynastie haben die Ausgrabungen
der französischen
Schule zu Tage gefördert und ganz neueerdings Petri
im
Tempel zu
Abydos, wo eine Statuette
des Königs
Cheops gefunden wurde,
die unsere Sammlung bewahrt. Ein Vergleich dieser Köpfe
mit den altbekannten
Chefrenstatuen scheint zu beweisen,
dasz wir in diesen späte Kopien alter Standbilder

Priester. Kairo.

Statue des Königs Chefren. Kairo.
vor uns haben, aber doch Kopien von der Zuverlässigkeit einer
leidlichen
römischen Kopie für eine Statue des 5.
Iahrhunderts. Es sind hauptsächlich
Unterschiede der
Ausführung, die bei den Chefrenstatuen viel schwammiger und
unpräciser ist, als bei den Statuen aus Abu Roasch. Dasz die Annahme
einer
besonderen “Königskunst” unstatthaft ist, die
Abweichungen der Chefrenbilder und
der anderen im gleichen
Saal aufgestellten Königsbilder von den sie umgebenden
Privatstatuen also nicht erklärt, beweist vor allem auch die Statue des
Königs
Phiops und seines Sohnes Mentesuphis aus der
VI. Dynastie, die nur der vollkommenste
Repräsentant der
Kunst des alten und beginnenden mittleren Reichs ist.
Zum
Glück sieht man es ihr kaum an, dasz sie aus unzähligen Bruchstücken, die
Quibell in
Hierakonpolis fand, von Herrn Barsanti im Museum zusammengesetzt
ist. Diejenigen, die in der XII. Dynastie die kleinere
Statue in die grosze schoben

und beide nebst
dem wundervollen goldenen Sperberkopf—wohl zu dem Götterbild
des alten Reichs gehörig—unter dem Pflaster des Tempels bargen,
scheinen
den goldenen Schurz Phiops I. und den oberen,
wohl aus Lapislazuli bestehenden
Teil seines Kopfes
bereits nicht mehr vorgefunden zu haben.
Die meisten der Statuen des alten Reichs stammen aus Gräbern und
stellen
den Toten dar, wie er in der Grabesthür steht
oder aus ihr heraustritt, um die

Reliefs der Spätzeit. (S. 153).
Aus dem Grab des Psametiches-nefer-sam.
Opfer zu genieszen. Eine Stele
in Form einer
solchen geöffneten
“Scheinthür”, die aus
dem Grab ins Ienseits führt,
zeigt in der Thüröffnung
den
Toten. Man hat diese Thürstelenform
zwar noch bis in
die Spätzeit
festgehalten (ein
Beispiel aus dem neuen Reich:
215), aber die typische Darstellung
des
Toten oder der
Toten verändert sich: im neuen
Reich sitzen der Tote und seine
Frau,
die Kinder öfter neben
sich, regelmäszig auf Sesseln.
Damals zuerst fängt man an, die einzelnen Strähne
der
Haare, die kleinen Falten des Gewandes mit minutiöser Genauigkeit
wiederzugeben.
Die nur im oberen Teil erhaltene Gruppe
eines Ehepaars aus weiszem
krystallinischen Kalkstein ist
ein treffliches Beispiel für diese Art.
Im ganzen spricht uns die Plastik des neuen Reiches weniger an.
Die etwas
klobigen Königsstatuen interessieren uns mehr um
der Person des Dargestellten
willen, wie bei Tuthmoses
III. oder Ramesses II.; die dem späten neuen Reich angehörigen
Götterstatuen wie die kolossalen Ptahs aus
Memphis oder der feine,
aber im Grund leere Chonsu aus
Karnak, lassen uns kalt. An den Bildern
der
löwenköpfigen Göttinnen bewundern wir höchstens die Kraft des
Raubtierhauptes.
Das Beste hat diese Zeit in der
Kleinkunst geschaffen; die reizenden
Figuren der
Schwimmerin als Salblöffel, des Asiaten, der die Amphora stützt
(Toilettenbüchse),
des Gottes Bes (aus Elfenbein) als
Spiegelstütze, der ganze bunte und
doch anmutige Hausrat,
wie wir ihn z. B. aus dem Grab des Sennutem kennen
lernen,
finden ihresgleichen nur in den besten Zeiten griechischer und christlicher
Kunst.
Die eleganten Formen der Sessel und Betten mit
den Tierfüszen, der reich ornamentierten
Lederbespannung
und den künstlerischen Einlagen in Elfenbein haben
denn
auch in die griechische Kunst Aufnahme gefunden.
Die Kunst des neuen Reiches hat aber auch eine andere,
naturalistische Seite.
Bereits im mittleren Reiche stoszen
wir neben den akademischen Arbeiten, für die
die 10
Statuen Sesostris I. aus Lisht (südlich von Sakkara) und die herrliche
Ebenholzstatue
des Königs Horus ans Daschur gute
Beispiele bieten, auf ganz verschieden
geartete, die
offenbar beabsichtigen, ein treues Bild der Person zu geben: das
glänzende
Sitzbild des jungen Amenemes III., des
Begründers des Moerissees, mit dem

feinen Profil,
andrerseits die kräftigen Sphingen mit den Löwenmähnen, die das
Tierische im Bild so stark betonen, der Kolossalkopf
eines Königs dieser Zeit aus
Bubastis vertreten diese Richtung in
ganz unterschiedlicher Weise. In diesen Kreisen
scheint
man zuerst die Darstellung runzliger Gesichter begonnen zu haben, wofür
man die hockende Statue im langen Mantel, der damals Mode
war, vergleiche
(1374).
Es ist nun bemerkenswert, wie ähnlich das Profil des jungen
Amenemes
dem des Königs Amenophis IV. ist, den man
gewöhnlich für den Schöpfer dieser
naturalistischen Kunst
hält. Nur dasz bei diesem Herrscher, der nach kurzem Kampf
mit der thebanischen Priesterschaft sich mit seinen Getreuen nach Tell
Amarna zurückzog,
um dort den heliopolitanischen Gott
Aton, die mit 1000 Armen segenspendende
Sonnenscheibe zu
verehren, alle Darstellungen frei von jeder formalen
(aber
nicht inhaltlichen) Tradition erscheinen. Uns dünken diese übertrieben
charakteristischen
Formen Karikaturen. Und diese Kunst
hat sich auch nicht behauptet: die
Ramessiden lenken im
wesentlichen in die alten Bahnen zurück; nur tritt an Stelle
des feierlichen Ernstes der Bildwerke aus der XVIII. Dynastie—vergl. die
Siegesstele
Tuthmoses III., die Statue der Mutnofret, Mutter Tuthmoses' II., die Statue
Amenophis II.—namentlich in der Rundplastik, eine
gewisse Süsslichkeit, wenngleich
nicht ohne Reiz: Statue
des Chonsu, der unbekannten Königin mit der blauen
Perrücke (blau und schwarz verwechseln die Egypter oft), des schon
genannten
Lesenden u. s. w.
Diese akademische schöne Kunst setzt sich in den letzten
Iahrhunderten der
egyptischen Geschichte fort; ihr gehören
die einst hochberühmte Alabasterstatue der
Königin
Ameniritis, die grosze Masse der Götterbronzen an, die uns Amon von
Theben mit den beiden hohen Federn, Horus und seine Sippe
mit dem Falkenkopfe,
die Göttin Isis mit dem Harpokrates
auf dem Schosz, den Krokodilsgott
Souchos, den
mumienförmigen Ptah von
Memphis, und
Osiris, den Gott der Unterwelt,
darstellen. Damals ist
auch das durch die prachtvolle Technik wie die absonderliche
Gestalt wirkungsvolle Steinbild der Nilpferdgöttin Toeris geschaffen
worden
und die lange Reihe von Naoi (Kapellen) und
Steinsärgen, die die Steinmetzen mit
unendlichem Fleisz
mit Inschriften bedeckt haben.
Aber daneben geht doch eine andere Richtung her, mit der,
vielleicht nicht zufällig,
die Aethiopen in Beziehung
scheinen: die Köpfe des Teharka, die kleine
Bronze eines
äthiopischen Königs, lassen die bezeichnenden Züge des Negers unverhüllt
erkennen. Und der in diese Zeit gehörige sogenannte
Mentumhet gibt ein
lebendiges Bild eines höheren,
beleibten Beamten mit einer angemessenen Perücke.
Als die
Meister dieser trefflichen, im Geist der besten Werke des mittleren
Reichs
geschaffenen Werke die griechische Kunst kennen
lernten, da gingen sie noch einen
Schritt weiter. Unsere
Sammlung bewahrt leider keinen der seltenen frühptolemäischen
Köpfe freien Stils, wohl aber gute Repräsentanten der
späteren Entwicklung bis in
die römische Zeit hinein: man
vergleiche die Oberteile deiser römischen Statuen mit
der
Büste eines Römers aus der Zeit Trajans und mit dem Mentumhet
andrerseits,
um sich zu vergegenwärtigen, wieviel
Griechisch-römisches trotz aller egyptischen
Technik in
diesen Köpfen steckt.

Von dem Leben und Treiben der alten Egypter gewinnen wir infolge
der
Sitte, dem Toten alles, was er im Diesseits
wünschte, ins Grab in natura, im
Modell oder im Bild mitzugeben, ein verhältnismäszig
vollständiges Bild. Hier sei
nur auf das Wichtigste
hingewiesen: in den Gräbern des alten und mittleren Reichs
erscheinen häufig (Dienerstatuen): Brauer, Bäcker, Feuerschürer, Leute, die
Bierkrüge
ausschmieren, Zwerge, die für die Wäsche
sorgen u. s. w. Auch das Abbild eines
Bootes mit Kajüte
oder mit Segeln findet sich. Einem General wurden seine
beiden Regimenter, rotbraune Egypter mit langen Speeren mit Bronzespitze
und
Nubier mit Bogen und Pfeilen mit Feuersteinspitzen
beigegeben. Auch Spielsachen

Altegyptische Soldaten. Holzfiguren aus einem Grabe
in Siut. (Mittl. Reich.)
Museum zu Kairo.
fehlen nicht; so das älteste Roulette, eine runde Steinplatte, auf
der sich eine
Schlange windet; es galt Steinkügelchen
durch alle Windungen bis in die Mitte
der Platte zu
treiben (aus einem prähistorischen Grab). Ferner Bälle, Brettsteine
und Spielbretter, Puppen, Musikinstrumente. Auch die
nötigen Toilettenartikel,
metallene Spiegel mit Griffen in
Gestalt einer Papyrusdolde oder einer die Scheibe
haltenden Frau, Nadel nnd Nadelkissen (z. B. in Gestalt einer Schildkröte),
gespaltene

Brustplatte aus Daschur.
Ringe zum Aufraffen und Schlieszen
der Gewänder
(an Stelle unserer Sicherheitsnadeln),
Knöpfe, Kämme,
Steinschalen in Tiergestalt
und röhrenförmige Töpfe für
Schminken
und Salben fehlen nicht. Besonders
Reichen
gab man wohl auch Schmucksachen mit: die
Armbänder aus ältester Zeit erwähnten wir
schon. Dem mittleren Reiche gehören die
einzigartigen
Goldfunde von Daschur an; man
beachte die Brustplatten mit
dem Bild des
Königs, der einen Feind erschlägt oder in
Greifengestalt niedertrampelt, die
Muscheln mit den
eingelegten Carneolplatten, die wundervollen Diademe in Filigranarbeit,
die farbenprächtigen Amethystketten. Hier kann man auch
Skarabäen

in ursprünglicher
Ringfassung sehen. Der Skarabäus, ein steinernes Bild des
heiligen Käfers, des Symbols der Gestaltungen, verdrängt seit dem mittleren
Reich
allmälig die älteren Siegelcylinder, mit denen
u. a. die Krugverschlüsse der
Bierkrüge aus den ältesten
Königsgräbern gestempelt
sind.

Statue des Gottes Chons. S. 153.
Knieender Priester. Neues Reich.
Aus dem Beginn des neuen Reiches
stammen die
bei der Mumie der Königin
Aahhetep gefundenen silbernen
und goldenen
Boote, Arm- und Beinringe, Waffen, der
Wedel, in dem einst Federn steckten, die Kette
des in Inschriften der Zeit erwähnten Fliegenordens,
das im Haar der Königin gefundene
Diadem, die beiden metallenen Spielsteine in
Form eines
Löwenkopfes u. s. w. Auch hier
treten nur bunte
Steineinlagen, kein Emailcloisormé
auf.
Aus der Saitenzeit stammen die fast mikroskopisch
kleinen, aber vortrefflich ausgeführten
Goldarbeiten,
die z. B. zwei Affen an einem
Palmbaum, das Boot des
Unterweltsgottes
Sokaris, Amulette und schützende
Gottheiten
darstellen.
Im Vergleich dazu erscheinen die Arbeiten
der
griechisch-römischen Zeit plump und aufdringlich:
man
beachte die breiten Diademe mit
dem Gorgoneion, die
Armbänder in Schlangenform,
die vielgestaltigen Ringe.
Wenn so die alten Egypter der verschiedensten
Epochen mit ihrem ganzen Tand und
Hausrat uns lebendig
werden, so können wir
uns von ihren ziegelgebauten Häusern
wenigstens
einen Begriff machen. Einmal nach den
thönernen Hausmodellen aus Gräbern des
mittleren Reichs, die den Hof und das in ihm
zuhinterst
liegende, meist zweistöckige Haus erkennen
lassen. Sodann
aber besitzt das Museum
in den schönen Fresken aus Hawata,
die so
reich bewegte Motive aus dem Tier- und
Pflanzenleben zeigen und in den Fayencebekleidungen
aus Tell el-Qehudie, einen Fuszboden
und Teile von Wandschmuck aus Palästen des neuen Reichs. Auch hölzerne
Stützen, steinerne wie hölzerne schwalbenschwanzförmige
Klammern, Fenstergitter
aus Stein und Holz,
Holzthüren—freilich von Schreinen und aus Gräbern—besitzt
die Sammlung.

Wir können diese rasche Uebersicht nicht schliesken, ohne die
drei groszen thebanischen
Funde zu erwähnen: den Fund der
Königsmumien im Versteck von Dier
el-Bahri, der
Amonspriestersärge ebenda (1891) und der Könige im Grab Amenophis'
II. und endlich des neuentdeckten Grabes Tuthmoses' IV.
Namentlich die
lekten Funde geben einen guten Begriff von
dem enormen Reichtum dieser
Herrscher. Herrliche blaue
Fayencegefäsze, z. B. in Gestalt des Lebenszeichens,
prächtige Lederarbeiten—die besten aus dem Grab des Privatmanns
Mui-hi-perider
uns einen Köcher und die Halsbänder
seiner Hunde hinterlassen hat—wundervolle
Stuckarbeiten—z.
B. der Triumphwagen Tuthmoses' IV. —zahlreiche
Holzschnitzereien haben sich gefunden. Man beachte vor allem auch das in
Ledermosaik ausgeführte Zelt der Prinzessin Isis-mchebt
und ihre bunten Glasbecher,
die schönen Glasfunde aus dem
Grabe Amenophis' II., endlich als Kuriosität
die groszen
Perücken, die in den Gräbern der Fürstlichkeiten des neuen Reichs sich
gefunden, und zum Schlusz trete man an die
verhältnismäszig einfachen Särge der
groszen Pharaonen,
Tuthmoses I. und III., Sethos I. und seines Sohnes Ramesses II.,
die wie durch ein Wunder uns wiedergegeben sind, nachdem
sie viel tausend Iahre
im Grab geschlafen.

“Lesender”. Neues Reich. Nr. 592. S. 150.